Einheitliches Patentsystem für Europa - RUHR•IP

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Einheitliches Patentsystem für Europa

Publikation Dr. Tanja Bendele, LL. M., Dr. Anna K. Heide - 1/2022 - CHEManager

Nach nunmehr fast 50 Jahren Entwicklungsprozess geht im Jahr 2022 in der Europäischen Union das Einheitspatent und das einheitliche Patentgericht an den Start. Zukünftiger Innovationsschutz von Erfindungen wird somit einheitlicher und kostengünstiger möglich sein. Die neuen Regelungen sind für Unternehmen aber auch mit Risiken verbunden.

PDF Quellenangabe: „Einheitliches Patentsystem für Europa“ – aus CHEManager 1/2022

Der Start des neuen Systems wird für die zweite Jahreshälfte 2022 avisiert. Der Weg bis dahin war lang und steinig: Erst im Juli 2021 hatte das deutsche Bundeverfassungsgericht endgültig den Weg zur Ratifizierung des Gesetzes geebnet und zwei Eilanträge gegen das einheitliche Patentgericht zurückgewiesen. Der Weg zu einem einheitlichen Patentsystem begann 1975 mit dem sog. Gemeinschaftspatentübereinkommen, das mangels Ratifikation nicht in Kraft trat. Auch der zweite Versuch im Jahr 1989, ein Gemeinschaftspatent zu schaffen, misslang.
Im Jahr 2000 schlug die EU-Kommission eine Verordnung über das Gemeinschaftspatent mit deutlich reduzierten Übersetzungskosten durch Fokussierung auf die drei Amtssprachen Deutsch, Englisch und Französisch vor. Am Widerstand zur Sprachenregelung von Spanien und Italien scheiterte auch dieser Versuch.
Mit dem EU-Vertrag von Lissabon im Jahr 2009 wurde das Instrument der „Verstärkten Zusammenarbeit“ zwischen den teilnehmenden Mitgliedstaaten eingeführt, sodass keine Einstimmigkeit der Mitgliedstaaten mehr notwendig war. 2012 hat das EU-Parlament zwei Verordnungen zur Schaffung eines einheitlichen Patentsystems und des einheitlichen Patentgerichts (EPG) verabschiedet, die mit Hinterlegung der dreizehnten Ratifikationsurkunde in Kraft traten und Anwendung finden, wenn das EPG-Übereinkommen in Kraft tritt, nachdem auch Deutschland seine Ratifikationsurkunde hinterlegt hat.
Während der nationalen Ratifikationsprozesse stieg die Spannung noch einmal stark an, denn in Deutschland stoppte eine erfolgreiche erste Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Bundestags vom 10. März 2017 den Ratifikationsprozess.
Der seit 2013 diskutierte und 2020 eingetretene Brexit hemmte den Prozess ebenfalls. Mit dem Rücktritt von Großbritannien als Drittstaat aus dem Patentsystem wurde der Weg nun endlich frei. Am 27. September 2021 unterzeichnete Deutschland das Protokoll über die vorläufige Anwendung des einheitlichen Patentgerichts.

„Mit dem neuen Patentsystem haben die EU-Mitgliedsstaaten ein modernes Patentsystem für KMU und Industrie entwickelt.“

Einheitspatent für EU-Staaten reduziert Kosten
Das bisherige System beim Europäischen Patentamt EPA) basiert auf einem zentralen Prüfungssystem. Wird nach dessen Abschluss ein europäisches Patent (Bündelpatent) erteilt, ist dies zwingend in den Vertragsstaaten zu validieren, um als Bündelpatent national seinen Schutz entfalten zu können. Dazu sind in diversen Ländern Teile oder das gesamte Patent mit erheblichen Kosten in die Landessprache oder ins Englische zu übersetzen. Hinzu kommen nationale Vertretergebühren und zum Teil Amtsgebühren.
Das Einheitspatent hingegen muss innerhalb der ersten sechs Jahren vollständig ins Englische übersetzt werden, wenn die Textfassung in Französisch oder Deutsch vorliegt. Liegt sie in Englisch vor, muss sie in eine andere Amtssprache der Europäischen Union übersetzt werden.
Das neue System erlaubt nun, mit Wirkung für alle teilnehmende EU-Mitgliedsstaaten, fristgebunden im Anschluss an die Patenterteilung des etablierten zentralen Prüfungsverfahrens beim EPA einen Antrag auf „einheitliche Wirkung“ zu stellen.
Die „einheitliche Wirkung“ des neuen Einheitspatents vermeidet den bisherigen fragmentierten Schutz in Ländern der Europäischen Union, denn außer Spanien und Kroatien wollen alle EU-Mitgliedsstaaten das System umsetzen. Zudem wird der Verwaltungs- und Kostenaufwand für alle Beteiligten erheblich reduziert.
Die gesamte Verwaltung des Einheitspatents wird beim EPA gebündelt und die Gebühren der Summe der Jahresgebühren der vier Länder entsprechen, in denen im Jahr 2015 die meisten Patente validiert wurden. Wir erinnern uns, Großbritannien ist als eines dieser vier Länder aus der EU ausgetreten. Bislang wurden jedoch etwa 50 % der erteilten Patente in Deutschland, Frankreich und Großbritannien validiert, für die keine Übersetzung einzureichen waren. Bei isolierter Betrachtung der Jahresgebühren ist der Kostenvorteil des Einheitspatentes für das vorgenannte Beispiel durch den Brexit somit dahingeschmolzen.
Der große Vorteil des Einheitspatents ist jedoch die territoriale, einheitliche Schutzausdehnung des erteilten Patents auf bis zu 24 teilnehmende EU-Mitgliedsstaaten. Bis zur Ratifizierung in allen Mitgliedsstaaten wird es unterschiedliche Generationen von Einheitspatenten mit Schutzausdehnung in den Mitgliedsstaaten mit hinterlegter Ratifizierungsurkunde geben. Aktuell haben etwa 16 Mitgliedsstaaten, darunter Frankreich, Italien, Niederlande, Deutschland, Dänemark, den Ratifizierungsprozess angestoßen oder abgeschlossen. Weitere acht EU-Mitgliedsstaaten werden vorrausichtlich folgen.
In allen anderen Vertragsstaaten des europäischen Patentübereinkommens kann weiterhin das erteilte europäische Patent national validiert werden. Alternativ kann ein Patentanmelder den rein nationalen Weg beschreiten, indem er ein nationales Patent anmeldet und damit auch einen rein nationalen Gerichtsstand sicherstellen möchte.

Einheitliches Patentgericht gewährleistet einheitliche Rechtsprechung für alle Verfahren
Das Einheitliche Patentgericht (EPG) wird für Klagen der Verletzung von Einheitspatenten, erteilten europäischen Patenten und zukünftig erteilten europäischen Patenten und Einheitspatenten sowie ergänzende Schutzzertifikate (Supplementary protection certificates, SPCs) zuständig sein. Damit ist eine einheitliche Rechtsprechung selbst für nebeneinanderstehende national validierte europäische Patente (Bündelpatent) und dem Einheitspatent gewährleistet.
Allerdings besteht während einer Übergangszeit von sieben Jahren die parallele Zuständigkeit der nationalen Gerichte für national validierte europäische Patente fort. Diese muss mittels einer „Opt-out“-Erklärung fristgebunden vor Ablauf der Übergangszeit und vor Eingang einer Klage beim Einheitlichen Patentgericht der Kanzlei dieses Gerichtes mitgeteilt werden.
Zukünftiger Innovationsschutz von Erfindungen wird somit einheitlicher und kostengünstiger möglich und kann am Einheitlichen Patentgericht in einem einzigen Verfahren durchgesetzt werden.

Zentrale Vernichtung von Patenten möglich
Gleichfalls kann aber zukünftig eine Nichtigkeitsklage zentral das Einheitspatent und national validierte europäische Patente vernichten, sofern für die national validierten Patente kein „Opt-out“ erklärt wurde. Auch Nichtigkeitsklagen können erhoben werden, ohne dass zuvor ein Einspruch beim EPA eingelegt werden muss. Besonders kritisch ist die Möglichkeit, dass trotz parallellaufendem Einspruchsverfahren eine Nichtigkeitsklage vor dem einheitlichen Patentgericht möglich ist.
Für jedes Patentportfolio muss daher sehr sorgfältig eine Strategie erarbeitet werden, für welche Patente die „Opt-out“-Möglichkeit vor dem einheitlichen Patentgericht genutzt wird. Unter dem Kostenaspekt ist zu erwarten, dass das deutsche Verletzungsverfahren deutlich günstiger als ein Verfahren vor einem Einheitlichen Patentgericht durchzuführen sein wird.
Mit dem neuen Patentsystem haben die teilnehmenden Mitgliedsstaaten der EU ein modernes Patentsystem für KMU und Industrie entwickelt, das für die Herausforderungen des kommenden Innovationsjahrzehnts fit ist.

Quellenangabe: „Einheitliches Patentsystem für Europa“ – aus CHEManager 1/2022